Was denkt Ihr, ist es richtig bei Sturzgefährdung einen Patienten zu fixieren? Sind Bettgitter wirklich hilfreich und sind auch Medikamente freiheitsentziehend? Stehen wir Pflegekräfte da nicht mit einem Bein im Knast?
Was sind noch mal freiheitsentziehende Maßnahmen oder FEM?
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) wurden früher bei Sturzgefährdung, Verhaltensstörungen, motorischer Unruhe und zur Sicherung von medizinischen Behandlungen hauptsächlich angewandt. Die Einschränkung des Bewegungsspielraums von Bewohnern oder Patienten erfolgt meist durch mechanische Fixierungen. Am häufigsten werden dazu Bettgitter verwendet.
Diese zählen zu FEM, wenn sie ohne Zustimmung oder gegen den Willen der Betroffenen hochgezogen werden. Körpernahe Fixierungen (Fixierungen im engeren Sinne) sind unter anderem Gurtsysteme, Bandagen, Schutzdecken und Vorsatztische.
Schlafmittel und Psychopharmaka sind freiheitsentziehend, wenn sie mit dem vorrangigen Ziel verabreicht werden, den Bewegungsdrang der zu Pflegenden soweit zu reduzieren, dass sich diese weder aus ihren Räumlichkeiten noch der gesamten Einrichtung entfernen können. Die Gabe von Medikamenten zu therapeutischen Zwecken gilt hingegen nicht als FEM, auch wenn dabei als Nebenwirkung die Mobilität eingeschränkt wird. Ebenso gehört das Einsperren von Betroffenen auf Stationen beziehungsweise in Zimmern zu den FEM. Darüber hinaus existieren „versteckte“ oder „verdeckte“ Methoden, wie die Wegnahme von Schuhen, Seh- und Gehhilfen und das Anbringen von speziellen Türschlössern, die die Pflegebedürftigen in ihrer Fortbewegung einengen sollen. Umstritten ist die Zulässigkeit von Sende- oder Personenortungsanlagen. Jedoch müssen all diese Maßnahmen von einem Richter oder Richterin erst genehmigt werden.
Doch bevor wir jetzt denken immer mit einem Bein im Knast zu stehen beschäftigen wir uns jetzt mal mit den juristischen Grundlagen.
Der Begriff „FEM“ umfasst alle Maßnahmen, welche die körperliche Bewegungsfreiheit einschränken und nicht von den Betroffenen selbst entfernt werden können und/oder den Zugriff auf den eigenen Körper verhindern.
Im Sinne des § 1906 BGB (7) dürfen derartige Interventionen nur eingesetzt werden, um zu vermeiden, dass Pflegebedürftige sich selbst töten oder sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen. Gleiches gilt bei notwendigen medizinischen Behandlungen/Eingriffen, die aufgrund des Verhaltens beziehungsweise des geistigen/seelischen Zustandes der Bewohnern beziehungsweise Patienten nicht durchgeführt werden können (zum Beispiel Gefahr der Selbstentfernung einer Infusionsnadel oder eines Harnblasenkatheters).
Einwilligungsfähige Betroffene entscheiden in Pflege-/Altenheimen sowie in Kliniken selbst über den Einsatz und die Dauer von FEM. Eine zusätzliche gerichtliche Genehmigung ist dann nicht erforderlich. Die zu Pflegenden müssen Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidungen erkennen können. Die Einwilligungen beziehen sich jeweils auf konkrete Situationen und können jederzeit von den betroffenen Personen widerrufen werden. Geschäftsfähigkeit ist nicht Voraussetzung für deren wirksame Einwilligung.
Für Bewohner und Patienten, die nicht selbst einwilligen können und unter Betreuung stehen, wird wiederum der oben erwähnte §1906 Abs. 4 BGB (7) wirksam, wenn regelmäßige (zum Beispiel immer nachts) oder andauernde FEM (mehr als zwei Tage) zu deren Nutzen unerlässlich sind. Dazu müssen jedoch zumindest ein ärztliches Zeugnis, besser ein Sachverständigengutachten, die Einwilligung der Bevollmächtigten und die Genehmigung des zuständigen Betreuungsgerichts vorliegen.
Lediglich in Eil- und Notfällen haben die Leitungen der Heime oder Krankenhäuser, Ärzte, Pflege-personal sowie Angehörige Entscheidungsbefugnis. Dabei ist immer zu beachten, dass die eingesetzten FEM der Situation angemessen sind und nachvollziehbar dokumentiert werden. Ist bei Eintritt der Notsituation bereits wahrscheinlich, dass die Anwendung der FEM länger dauern wird, liegt kein rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) vor. Hier ist die unverzügliche Entscheidung des Gerichts angezeigt.
Auch wenn die Betreuten nach § 1906 Abs. 1 BGB bereits untergebracht sind, sind zum Einsatz zusätzlicher FEM weitere gerichtliche Genehmigungen unumgänglich.
Liegt ein entsprechender gerichtlicher Beschluss vor, erlaubt dieser grundsätzlich den Gebrauch von Sicherungsmaßnahmen bei den zu Pflegenden, statuiert aber ausdrücklich keine Verpflichtung dazu. Die tatsächliche Erforderlichkeit von FEM sowie die zeitlichen Beobachtungsintervalle der Fixierten sind vom Gesundheitszustand und dem Befinden der jeweiligen Personen abhängig. Im Allgemeinen wird darüber vor Ort von den zuständigen Pflegefachkräften entschieden. Eine permanente Überwachung (Videomonitoring, Sitzwache) und Betreuung während der Fixierung ist bei Patienten in psychiatrischen Abteilungen obligat,
nicht aber in Alten- und Pflegeheimen.
Werden FEM in der stationären Pflege eingesetzt, müssen diese nach deutscher Rechtslage bei jeder Anwendung in ihrer Art und ihrem zeitlichen Umfang nachvollziehbar dokumentiert werden.
Jetzt schauen wir uns an, was das mit Strangulationen zu tun hat.
Vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2010 wurden am Institut für Rechtsmedizin München im Auftrag der Staatsanwaltschaft und der Verwaltungsbehörde insgesamt 27 353 Sektionen durchgeführt. Darunter wurden 26 Verstorbene obduziert, die zum Zeitpunkt
des Todes durch Gurte fixiert waren.
In Pflege-/Altenheimen ereigneten sich 16 der Todesfälle, fünf in Krankenhäusern und einer im häuslichen Bereich.
Die Gurte wurden wegen erhöhten Sturzrisikos, Weglauftendenzen und Selbstbeschädigungsgefahr angelegt. Sie kamen zumeist auf richterlichen Beschluss zur Anwendung, zwei Betroffene hatten selbst in die Maßnahme eingewilligt.
Bei einem Heimbewohner sowie bei allen stationären Patienten lagen weder eine schriftliche Einwilligung noch ein richterlicher Beschluss vor, obwohl fast alle Fixierungen regelmäßig oder über einen längeren Zeitraum hindurch erfolgt waren.
Die Studie ergab, dass bei Gurtfixierungen im Wesentlichen drei Mechanismen zum Tod der Betroffenen geführt haben:
Kopftieflage
Brustkorbkompression und
Strangulation.
Bei 19 Altenheimbewohnern/Patienten waren die Gurtsysteme nicht ordnungsgemäß angebracht worden. In der Mehrzahl der Fehlanwendungen wurden die Bauchgurte zwar korrekt angelegt und verschlossen, jedoch waren die Seitenriemen nicht zusätzlich befestigt und die Bettgitter entweder nicht oder nur auf einer Seite hochgezogen. Jeweils einmal wurden behelfsmäßig ein Gürtel und ein Bettlaken zur Fixierung eingesetzt. Nur in einem Fall lag eine sach- und fachgerechte Anwendung vor, wobei es dennoch bei der Heimbewohnerin aufgrund ihrer körperlichen Wendigkeit und letztlich durch ihre Konstitution zu einer Strangulation im Bauchfixiergurt ihres Rollstuhls gekommen war.
Mehrheitlich hatten die polizeilichen Ermittlungen bei Todesfällen im Zusammenhang mit Gurtfixierungen keinerlei Anhaltspunkte für strafbare Handlungen ergeben, so dass seitens der zuständigen Staatsanwaltschaften keine weiteren Maßnahmen erfolgten. Jedoch wurden in drei Fällen die verantwortlichen Pflegekräfte wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von je 90 Tagessätzen verurteilt.
Ein behandelnder Arzt war gleichfalls mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen belegt worden, weil er bei einer fixierten Heimbewohnerin die Entfernung des Bettgitters angeordnet hatte. Gegen die ausführenden Altenpflegerinnen wurde keine Anklage erhoben, da diese nachdrücklich auf die Notwendigkeit von hochgezogenen Bettgittern bei Gebrauch eines Bauchgurtes auf-
merksam gemacht hatten.
Die hohe Obduktionsfrequenz des Münchner Institutes für Rechtsmedizin zeigt, dass Fixierungen nicht nur bei fehlerhaften Anwendungen, sondern im Ausnahmefall sogar auch bei korrektem Gebrauch der Gurtsysteme für die Betroffenen tödlich enden können.
Wie können wir Präventionsmaßnahmen einleiten?
Sturzgefährdung und psychomotorische Unruhe sind die häufigsten Indikationen für FEM.
Die Intention, Stürze allgemein zu vermeiden, rechtfertigt per se nicht den Einsatz von FEM. Außerdem wird in Studien angezweifelt, ob durch Fixierungen mit der daraus resultierenden Einschränkung der Mobilität tatsächlich eine Sturzprophylaxe gegeben ist. Verhaltensauffälligkeiten wie Agitiertheit können durch Fixierungen sogar noch verstärkt werden, diese Maßnahmen haben oft traumatisierende Auswirkungen auf das subjektive Erleben der Betroffenen.
Deshalb müssen alle Bemühungen darauf abzielen, das natürliche Bedürfnis nach Bewegung für jede/n Einzelne/n soweit wie möglich zu gewährleisten.
Ärztliches und pflegerisches Fachpersonal ist gefordert, stets zu versuchen, die Ursachen für vorliegende Unruhezustände, Weglauftendenzen und potenzielle Sturzgefahren zu erkennen und möglichst zu beseitigen.
Dabei gibt der Leitfaden des Bayerischen Landespflegeausschusses zum „Verantwortungsvollen Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege“ umfassende Hilfestellung. Unten in der Beschreibung habe ich Euch den Leitfaden verlinkt.
Also …
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) sind eine spezielle Form von Gewalt und daher als ultima ratio auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken.
● Grundregel für deren Anwendung ist: Der potenzielle Nutzen der FEM muss höher sein als der mögliche Schaden.
● Der Einsatz von FEM, insbesondere von Gurtsystemen, muss reduziert werden, um gesundheitliche Schäden, Verletzungen bis hin zu tödlichen Unfällen zu
● Voraussetzungen dafür sind, dass bei allen Beteiligten das Bewusstsein für den schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit der Einzelnen geschärft sowie alternative Handlungsweisen diskutiert, gefunden und angewandt werden.
Wie wird das bei Euch in den Einrichtungen gehandhabt und welche Erfahrungen habt Ihr bereits mit FEM gemacht? Schreibt mir das doch bitte unten in die Kommentare ...
GLG
Eure Schwester Eva
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